Brust
„Torten“ - 2008 Galerie ICON

Malerei als Gourmandise

 

Das ist neu und ein wenig empörend: empörend nicht der reichlich und immer delikat enthüllten weiblichen Haut wegen – dies ist eines der beliebtesten Sujets der Geschichte der Malerei überhaupt und jedem Kunstlieb­haber in jeder Form ganz vertraut. Was nicht vertraut ist, ist die Art der Malerei selbst, vorgetragen in Bildausschnitten, die sofort die Fotografie als Grundlage verraten und daher auch zunächst eine Fotografie suggerieren. Doch kein Foto kann so rein, so klar, so makellos in der Wiedergabe der Oberflächen sein, die Schatten so plastisch modellieren wie dieser genussvoll geführte Pinsel, der doch nur banales Acryl auf Baumwolle setzt.

 

Daher argwöhnt man denn Airbrusch, mit dem amerikanische Fotorealisten in den 70-er Jahren ihre spektakulären Hochglanzflächen herstellten, ebenfalls reine Oberflächen von Schaufenstern, Pferdekörpern, Neonwerbung und vor allem Autos. Autonome Farbigkeiten, wie sonst in der Malerei, gab es nicht mehr, auch nicht, wenn ein Maler wie Chuck Close seine Portraits in traditioneller Weise malte, denn er unterwarf den Pinsel ganz einer geradezu topografischen Bestandsaufnahme dessen, was das Foto ihm – oft sogar in Addition zahlreicher Ausschnitte – vorgab.

 

Das tut Sven Wiebers nicht, es geht ihm nicht um einen „sharp focus realism“, besser, um akribisch genaue Wiedergabe der Natur. Die Haut seiner Modelle atmet nicht und sie bleibt ohne Texturen, wenn auch nicht ganz makellos: Kaum wahrnehmbare Pigmentveränderungen können auftreten und Hell-Dunkel-Abstufungen, wie die Sonne sie auf dem Körper hinterlässt. Aber sie ist geglättet, ja geschönt, kaum einmal ist ein Fältchen zu sehen und wenn, ist es fein stilisiert. Diese kaum merkliche Stilisierung ist besser an Textilien, an den Haaren und vor allem an einem manchmal ins Bild hineingenommenen Mund zu erkennen. Daß es nicht um baren Naturalismus geht, zeigen übrigens auch die Textilien und die Hintergründe. Letztere stehen oft in auffallend starkem Kontrast zur Haut, nicht nur der kräftigen Farbigkeit wegen, sondern vor allem durch eine Geometrisierung, die den gerundeten Körperformen noch mehr Plastizität verleiht.

 

Es geht nicht um Natur, sondern um Bilder und um eine Malerei, die vollkommen atmosphärisch bleibt, kein Raum wird suggeriert, Licht tritt nur in festgeformten Schatten oder seltenen hellen Reflexen auf. Keine diffusen Zonen oder malerischen Übergänge sind zu erkennen. Eine Aktmalerei wie die der berühmten Odalisken von Ingres?

Dem widersprechen die zwar klaren, nicht aber linear betonten Konturen und die vollen Volumina, vor allem aber die Malerei selbst, so wie sie – erst bei näherem Hinsehen – sich auf der Leinwand präsentiert. Sieht man nämlich von der Gegenständlichkeit der Bilder ab, so erkennt man nichts als fast vibrierende Farbflächen, zunächst scheinbar monochrom, in Wahrheit aber in einem nahezu verselbständigten Spiel kleiner farbiger Punkte. Diese Punkte allein sind es, die Volumen, Hell und Dunkel, Schwächung oder Intensivierung der Farbig­keit bewirken.

 

Pointillismus also? Nein, Paul Signac zerlegte am Ende des Impressionismus die gesehenen Farben in die Grundfarben, aus denen sie gemischt waren, setzte diese rein auf die Leinwand und ließ so im Auge des Betrachters eine sogenannte optische Mischung entstehen. Er folgte damit den neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen des 19. Jahrhunderts und wurde mit dieser Art von Malerei, die auch der Form nach ganz statisch bleiben musste, weil der Pinsel keinen Schwung erhielt, zu einem der Begründer des Konstruktivismus. Pointillismus bezeichnet daher nur sehr oberflächlich das, was hier erstmals auf naturwissenschaftlicher Basis geschieht: besser ist Divisionismus.

 

Sven Wiebers tut das Gegenteil, er mischt – stets nur aus den Grundfarben – den notwendigen Ton und setzt ihn punktartig ein. Keine optische Mischung, sondern wirklich ein Pointillismus, der – anders als lasierende Farbbahnen – die Oberfläche offener lässt und ihre endgültige Farbigkeit bis zum letzten Moment in der Schwebe halten kann – und dies auch tut. Das ist notwendig, denn anders als die meisten Maler, arbeitet er nicht auf hellen Gründen, sondern auf schwarzen – bei einigen Bildern gut zu erkennen. Anstatt langsam dunkler und farbiger zu werden, arbeitet er gewissermaßen von unten nach oben: Der hellste Punkt ist der letzte. Die Divisionisten hatten dagegen ihre Farbpunkte oft unverbunden auf den weißen Grund gesetzt, der dazwischen durchscheinen konnte – ein viel einfacheres Verfahren also.

 

Warum diese komplizierte Technik, die am Ende kaum jemand wahrnehmen wird? Erstens bewirkt sie eine Transparenz, wie sie so nur selten in der Malerei zu finden ist. Zweitens aber geht es dem Künstler auch um Flächen und zwar um große farbige Flächen als solche – nicht die besondere Gegenständlichkeit ist sein Thema, sondern Malerei und das Malen selbst. Pure Malerei aber kann sich weniger im Detail zeigen als vielmehr bei der Wiedergabe ausgedehnter Wiesen, steinerner Wände oder spiegelnden Wassers – Themen die Sven Wiebers alle ausführlich bearbeitet hat, ebenso wie Häuserwände mit alterndem Putz oder – besonders eindrucksvoll – die bildversperrende Ziegelwand eines Wasserspeichers, die lange den einzigen Ausblick seines New Yorker Zimmers bildete. Geradezu meditativ wirkt seine Malerei hier, sie zeigt, wie er mit offenbar unendlicher Geduld Ziegel für Ziegel über drei Viertel der nicht eben kleinen Leinwand ausbreitet.

 

Das sind eigentlich abstrakte Bilder, das Motiv eher ein Vorwand, eigentliches Thema: Der Aufbau einer Farbfläche, die das Wesentliche des visuellen Befundes vermittelt, die Geheimnisse einer fast monochromen und daher in sich voller farbiger Erlebnisse steckenden Fläche aber bestehen lässt. In der Tat – und das ist den Bildern auch anzusehen – kommt Sven Wiebers von der Abstraktion her. Bis zum Ende der 90-er Jahre malt er großformatige gegenstandslose Farbflächen, zum Teil sehr farbig und baut sie in der beschriebenen Weise auf Schwarz von unten nach oben auf, punktierend oder in Strichlagen. Im Laufe der Jahre beginnt er dann, Realitätselemente durchschimmern zu lassen.

 

1998 erfolgte der Bruch: Die in der Abstraktion entwickelte, jetzt voll ausgebildete malerische Technik wird in eine klare, kühle, sehr statische Gegenständlichkeit getragen, in der weiterhin große ruhige Flächen dominieren, jetzt aber in ein Spannungsfeld mit grafischen Akzenten treten. Landschaften, Stadtlandschaften und Architektur werden die neuen Themen, der Mensch bleibt Statist.

 

Das bleiben auch die Mädchen und Frauen seiner Akte, die seit 2006 zum neuesten Vorwand seiner in­zwischen meisterhaft entwickelten Malerei wurde: Wären nicht auch gelegentlich Körperformen zu sehen, die heutigem Perfektionsstreben widersprechen, könnte man sie mit den wesenlosen Glamour-Mädchen bei Tom Wesselmann vergleichen, obwohl – und das scheint charakteristisch für europäische Malerei zu bleiben – sie nie (wie dort) zur Sex-Ikone geraten. Das liegt erstens an den mit Raffinesse gewählten Ausschnitten, vor allem aber an dieser, sich über Ornamentik und Flächen ausbreitenden Art der Malerei. Obwohl sie den visuellen Vorgaben nachgeht, bleibt sie in sich differenziert und selbständig, d.h. sie ordnet sich nicht dem Gegenstand unter. Eine solche Malerei kennt die Pop Art nicht und ebensowenig der Fotorealismus – die beiden Erscheinungen, die man Sven Wiebers zur Seite stellen könnte. Selbst die sich immer wiederholenden Häschen und Schenkel des Feinmalers John Kacere haben im Vergleich etwas Plakatives – ganz abgesehen von der Monotonie der stets fast gleichen Bildausschnitte, in denen eher die Accessoires wechseln.

 

Auch Sven Wiebers Mädchen haben Accessoires, die aber nur sehr gelegentlich erotische Hinweise geben – meist sind sie fast gegenstandslose farbige Ergänzung. Das heißt, sie bleiben in der europäischen Tradition der Aktmalerei, wo es neben den reinen Körperstudien immer auch ein Moment von Verhüllung und Enthüllung durch das Einführen von Textilien gab. Auch dort blieben diese Stoffe fast gegenstandslose Farbflächen. Anders als die Gegenständlichkeit moderner Reizwäsche konnte wohl das erotische Moment – durch den Vorhang der Enthüllung – gesteigert werden, nicht aber eine Sex-Ikonografie entstehen, wie in der Pop Art und ihrem Umfeld.

 

Das Studium des weiblichen – auch des männlichen – Aktes, Pflichtfach jedes traditionellen Akademie­studiums, baute zunächst immer auf der Linie auf und diente der Erfassung von Statik, Proportionen und Volumina (vgl. Mervyn Levy, Akt und Künstler, München, 1966). Es war für den Bildhauer wichtiger als für den Maler. Abgesehen von einigen Ausnahmen wie Ingres, verraten daher auch alle großen Aktbilder seit der Entwicklung des sogenannten „Malerischen“ im Barock mehr Interesse an den Farben der weiblichen Haut als zuvor in der Renaissance. Dort galt vor allem die Klarheit der Darstellung, ebenso wie später im Klassizismus – so bei Ingres. Mit dem 20. Jahrhundert gingen diese Gegensätze verloren und Aktbilder wurden ganz von der Handschrift der einzelnen Künstler bestimmt – man denke etwa an Kirchner, Picasso oder Modigliani. Zudem verschwand das Aktstudium aus den Akademien und das Thema als solches wurde vernachlässigt – vor allem natürlich durch die Entwicklung der abstrakten Kunst.

 

Was daneben noch zurücktrat, war die Malerei im traditionellen Sinn überhaupt, das heißt das, was Sven Wiebers heute wieder tut: ein Ausloten der Möglichkeiten von Farbe – nicht zur Expression, nicht zur Findung plakativer Kontraste, Ornamentik, Op Art oder Untersuchung von Farbgesetzen, sondern zur farbigen Gestaltung von Flächen, seien sie abstrakt, architektonisch oder – wie hier – organisch. Die Reihenfolge, in der der Künstler seine Themen wählt und lange bearbeitet, kennzeichnet eine Entwicklung zu immer höheren Schwierigkeitsgraden. Schließlich müsste er wie William Turner und John Constable bei einer Wolkenmalerei anlangen. Diese würde aber anders aussehen als bei jenen, denn sein Pinsel wird ohne Schwung, ohne jede Neigung zum Impressiven, nämlich ganz statisch eingesetzt. Das bewirkt zu einem großen Teil die Ruhe seiner Bilder.

 

Die Technik ist vielleicht durch seine Ausbildung zum Restaurator beeinflusst worden. Auch dort wird die Schadstelle an einem Bild in vorsichtigen Farbtupfern ergänzt, die so lange übereinander gesetzt werden, bis der Originalton ohne sichtbare Grenze zwischen alt und neu erreicht ist. Durch diese lasierende Technik vermögen die unteren Farben durchzuschimmern und am Gesamteindruck mitzuwirken, der damit nicht mehr auf eine definitive Farbe festlegbar ist. So entsteht die ganz besondere Transparenz und Diffusität, die das genaue Gegenteil von plakativer Malerei ist. Im Bereich der Farbfeldmalerei geschieht etwas Ähnliches bei Gotthard Graubner und vor allem Mark Rothko, deren Bilder durch ihre Transparenz fast körperlos und daher fast zu Andachtsbildern werden.

 

In der sehr lautstarken Kunst der Gegenwart wirkt eine so konzentrierte Art des Malens – schon allein im Hinblick auf den zeitlichen Aufwand – nahezu unzeitgemäß. Obwohl die Bezüge zu Pop Art und Fotorealismus unübersehbar sind, sind (trotz der gelegentlichen Darstellung von Reizwäsche) nicht diese, bewusst plakatierenden Werke die nächsten Verwandten der Akte von Sven Wiebers, sondern die der verkannten großen Salonmaler des 19. Jahrhunderts. Wohl der erotischste Akt in der Malerei überhaupt ist die „Geburt der Venus“ von Alexandre Cabanel (Musée d‘Orsay, 1863), sowohl ihrer lasziven Haltung als vor allem der delikaten Darstellung der Haut wegen. Diese Maler beherrschten ihr Handwerk wie wenige Künstler zuvor und wurden verspottet mit dem Aufkommen der flüchtigen Kunst des Impressionismus und besonders angesichts der groben Pinsel der Expressionisten.

 

Noch einen weiteren Bezug zum 19. Jahrhundert haben die Arbeiten von Sven Wiebers: Es geht um die sogenannte „Schlüssellochperspektive“. Während die Salonmaler noch ganzheitliche Darstellungen gaben, in denen nichts angeschnitten oder versteckt wurde, kam mit der Idee, das Flüchtige der Wahrnehmung festzuhalten, auch eine Aktmalerei auf, die auf versteckter, verheimlichter Beobachtung basierte und die Akte bei in­timen Bewegungen ohne deren Wissen ins Bild setzte (Edgar Degas, Pierre Bonnard, Henri de Toulouse Lautrec). Durch diese Idee der Betrachtung durch ein Schlüsselloch wurde das erotische Moment in einer ganz neuen Weise ins Spiel gebracht.

 

Bei Sven Wiebers ausschnitthafter Malerei denkt man sofort an eine Weiterentwicklung dieses Aspektes: Dem Objektiv der Kamera stand nur ein schmaler Schlitz zur Verfügung, um das hinter der Wand Befindliche festzuhalten. Sicher ist das nicht die eigentliche Intention des Malers, aber die stets nur in Ausschnitten gegebenen Körper gewinnen durch das Verheimlichen des Ganzen – ähnlich wie durch die Stoffdrapierungen – einen ein wenig geheimnisvollen Reiz. Dennoch sind sie absolut modern, denn dass die Kamera und nicht das Schlüsselloch die Bildfindung bestimmte, wird keineswegs verschleiert. Auch die immer wiederkehrenden, manchmal fast verselbständigten Stilisierungen an Schlüsselbeinen, Ellenbogen und Begrenzungen der Wölbungen thema­tisieren das Bild einer Kamera und setzten damit einen reizvollen Widerspruch zum ganz eigenständigen Wert des „Malerischen“.

 

Sven Wiebers ist ein Gourmet der Malerei, ein Eleve der Salons von Paris, ein Radikaler im Verstoß gegen Ganzheitlichkeit und Bildgesetze, ein Handwerker mit meditativer Geduld und er spekuliert auf den Reiz eines der ältesten Momente der Kunst: die Erotik.

 

Prof. Dr. Karina Türr